Im Sommer 1936 beschäftigte sich Jan Oeltjen in einem Brief an seinen Freund Adolf Schinnerer mit dem Problem, dass "wunderbare Mystik" vorrangig bei Fresken schnell in Banalität umschlage. Es sei für ein kommendes Treffen ein gutes Gesprächsthema, einmal über die Schwierigkeiten der italienischen Renaissance nachzudenken, eine kalte thematische Wandaufteilung zu vermeiden. Oeltjen konnte nicht wissen, dass er mit dem Fresko ein Thema aufgeworfen hatte, das ihn annähernd die nächsten drei Jahre beschäftigen sollte: Erstaunlich für das Werk eines Mittfünfzigers, der noch kein einziges Fresko vorweisen konnte... (Jan Oeltjen an Adolf Schinnerer, Brief vom 2.7.1936. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Deutsches Kunstarchiv, Nachlass Jan Oeltjen (Bestand 487) II, C-16. Fortan als GNM mit Archivnummer zitiert.)
Rund zwei Monate später schrieb das Oldenburger Staatsministerium einen Wettbewerb für ein Wandbild im Sitzungssaal der Gauleitung aus (Quelle: José Kastler: Heimatmalerei – Das Beispiel Oldenburg - (= Diss. Marburg 1986, Oldenburger Studien 31). Oldenburg, Holzberg 1988, S. 180). Über die Gründe liegen keine Erkenntnisse vor; Spekulationen verbieten sich. Oeltjen reagierte umgehend, schon eine Woche später notierte er in seinem Tagebuch, wen er diesbezüglich bereits aufgesucht hatte: den Landschaftsmaler Gerhard Bakenhus; den Museumsdirektor Walter Müller-Wulckow, die Verwaltungsjuristen Wilhelm Eduard Adalbert Willms und Richard Tantzen, den Oberbaurat Johannes Wohlschläger sowie den Maler und Kurator Richard tom Dieck. Aus "gewissen Gründen" und Missverständnissen wurde Oeltjen jedoch abgelehnt (Oeltjen an Schinnerer, Brief vom 26.2.1937, GNM II, C-16). Müller-Wulckow berichtete noch Jahre später, die "zuerst bevorzugten Künstler [seien] mit ihren Vorschlägen gescheitert" (unbekannter Zeitungsartikel, vermutlich Nordwest-Zeitung vom 16.8.1950). Bekannt ist nur Bernhard Winters Versuch, nach der Wandelhalle auch die Ausgestaltung des Sitzungssaals durchführen zu dürfen. Seine germanentümelnde Darstellung ignorierte aber die ausdrückliche Wettbewerbsforderung: "landschaftliche Motive" (José Kastler aaO.) Zwischen Neujahr und Ende Februar 1937 arbeitete Oeltjen in seiner jugoslawischen Heimat an den Entwürfen für den Landtag (wie er es nannte). Eine gewisse Klausel in den Bedingungen habe eben nicht seiner Sehnsucht entsprochen, formulierte Oeltjen vorsichtig gegenüber Schinnerer, weshalb er sich beinahe fürchtete, den Auftrag tatsächlich zu bekommen (Oeltjen an Schinnerer, Brief vom 26.2.1937, GNM II, C-16).
Die Folge war ein erster bekannter Entwurf für das Fresko:
Das Bild stellt nur Mitte und rechte Seite der Wand dar. Erkennbar ist die Darstellung einer bäuerlichen Gruppe in einer von windgebeugten Bäumen eingefassten norddeutschen Ebene. Die drei Pferde rechts mit der Gestalt, die das Gattertor öffnet, stellen eine komplette Übernahme des Motivs aus der "Pferdeweide" seit 1923 dar (WVZ JO-Öl-23-15); das Bauernpaar mit Kind wurde seitenverkehrt als "Paar" von Oeltjen 1920 radiert (WVZ Rad. 114) und erneut ohne Kind in "Winzer I" von 1925 (JO-Öl-25-04) aufgegriffen. Die breitbeinige Haltung der zentralen Figur deutet auf die Figur der "Weite"-Landschaften seit 1924 hin. Der pflügende Bauer links stammt aus dem Bild "Pokranjina I" (JO-Öl-35-08), das auf 1935 datiert wird. Im Hintergrund rechts sind Häuser oder Masten zu kennen, im Vordergrund rechts sind Stauer und Schauerleute beim Verladen. Dafür gibt es entsprechende Beispiele von der Insel Ischia (JO-Öl-35-11 und folgende). Mittig im Vordergrund sind Soldaten im Profil marschierend nach rechts zu erkennen.
Eines lässt sich jedenfalls nicht mit Sicherheit erkennen, nämlich, worauf sich Oeltjens Vorbehalte in den Bedingungen der Ausschreibung stützten (s.o.). Die Einzelmotive allesamt schon bekannt; die Darstellung im ungebrochen gemäßigten Expressionismus - sollten es etwa die Soldaten im Vordergrund sein, die Oeltjen Probleme bereiteten? Immerhin gibt es unter den hunderten von Aquarellen aus dem Ersten Weltkrieg kein einziges Bild, das so explizit Soldaten mit Waffen zeigt!
Die Probleme nahmen jedenfalls solche Formen an, dass sich Oeltjens Freund seit Studienjahren, der Schweizer Albert Wenner, besorgt erkundigte:
„Vorerst bin ich mal sehr gespannt, ob Du den grossen Fresko Auftrag bekommst. Ich wünsch es Dir sehr. Du schriebst nämlich, das sei schon lange Dein Traum gewesen diesen Saal auszumalen. Und nun sagst Du auf Deiner vorletzten Karte, Du möchtest lieber Portraits malen, als Entwürfe für das Fresko.“ (Albert Wenner an Jan Oeltjen, Brief vom 27.4.1937. GNM I, C-218)
Tatsächlich betrieb Oeltjen den Entwurf auch weiterhin; er ließ sich von Schinnerer an den Fresko-Spezialisten Franz Klemmer vermitteln. Er änderte zudem den Entwurf auf Schinnerers Ratschläge hin nach eigener Aussage "ziemlich wesentlich" (Jan Oeltjen an Adolf Schinnerer, Brief vom 20.6.1937. GNM II, C-16) und kommt somit nach Kontaktaufnahme mit Wohlschläger zum Ergebnis, der Entwurf scheine nicht aussichtslos zu sein. (Tagebuch vom 7.5.1937). Überhaupt scheint Wohlschläger sich in dieser Zeit als "am meisten massgebend" herauszustellen (Jan Oeltjen an Adolf Schinnerer, Brief vom 15.7.1937. GNM II, C-16). Auf Schinnerers Protektion aus der Ferne war in dieser Hinsicht nicht mehr zu hoffen; obwohl er in der Leitung der Münchener Neuen Sezession Ansehen errungen hatte und als Akademieprofessor auch weiterhin seinen Namen hätte geltend machen können. Schinnerer hatte nämlich im Juli 1937 "eine Stunde vor Aufnahme in die P[artei] die ganze Sache zurückgezogen" (Adolf Schinnerer an Jan Oeltjen, Brief vom 10.7.1937. GNM II, C-16).
Somit war der Stand im Frühsommer 1937 ein erneuter Entwurf Oeltjens für das Fresko, der Anregungen von Schinnerer aufgriff und detaillierter als bisher die ganze Wand abbildete:
Mit der Milchviehdarstellung auf der linken Seite betrat Oeltjen motivisches Neuland; nie hatte er vorher Frauen mit Rinderhaltung kombiniert dargestellt. Die weibliche Seite der Landwirtschaft war bei ihm geprägt von der Person seiner Ehefrau, die für Weinanbau, Obst und Fruchtkultur zu stehen schien. Gleichwohl kann dies eine der Anregungen Schinnerers gewesen sein. Im Mittelpunkt des Gemäldes hat Oeltjen die Sonneneinstrahlung zurückgenommen und die Kinderanzahl reduziert - mit beiden Maßnahmen hat er dem Bild die Ruhe verschaffen, die für die Ausgewogenheit des Entwurfes unerlässlich ist. Im unteren Vordergrund aber trat nun das Problem zu Tage, dem sich Oeltjen die ganze Zeit ausgesetzt gesehen hatte und das ihm wohl die Lust am weiteren Vorgehen bisweilen geraubt hatte. Links und rechts der Türen waren nämlich in den Bereichen, die bisher ausgespart worden waren, große Hakenkreuzfahnen mit Lampen oder Kerzenleuchtern montiert. Es sollte übrigens noch beinahe ein ganzes Jahr dauern, ehe Oeltjen eine eigene Hakenkreuzfahne für sein Haus kaufte: Erst nach dem Anschluss Österreichs wollte er äußerlich dokumentieren, dass er sich freue (Tagebuch vom 16.3.1938).
Im Sommer trat dann scheinbar beiläufig das ein, was sich nur inkonsequent aus der widersprüchlichen Kunstpolitik der Nationalsozialisten herleiten ließ. Im Expressionismusstreit hatte sich mit der Wanderausstellung "Entartete Kunst" und der Großen Deutschen Kunstausstellung endgültig die Antimoderne durchgesetzt. Am 26. August 1937 erreichte die nationalsozialistische Gleichschaltung der Kunst in Oldenburg die Entfernung von Arbeiten diverser Künstlerinnen und Künstler aus dem Bestand des Landesmuseums. Jan Oeltjen war dabei mit einem Gemälde, sieben Holzschnitten und zwei Aquarellen vertreten; von seiner Frau Elsa Oeltjen-Kasimir wurde ein Gemälde "ausgesondert". Erst mit erheblicher Verspätung wurde im Dezember darüber vom Landesmuseum an das zuständige Oldenburger Ministerium berichtet (Niedersächsisches Staatsarchiv Oldenburg, Bestand 134, Archivnr. 3650, IB-63-15,
Oldenburgisches Ministerium der Kirchen und Schulen. Akte betreffend Säuberung der Museen von den Erzeugnissen entarteter Kunst. 1937).
Oeltjen konnte unter diesen Bedingungen kaum noch als geeigneter Künstler für das Fresko gelten.
Die Lösung, die in dieser Situation gefunden wurde, ist paradox. Einerseits löste sie Oeltjens Problem mit den Hakenkreuzfahnen, andererseits verpflichtete sie ihn, sich mit seiner Bildsprache dem System nur noch deutlicher anzudienen. Um seine Konformität zu demonstrieren, reichten Bauerndarstellungen in leicht expressiver Manier absolut nicht mehr aus. Die schließlich gewählten Bekenntnisse zu den neuen Machthabern mochten Oeltjen wirtschaftlich geholfen haben, blieben aber gleichwohl belastend für ihn, wie er später gegenüber seinem Freund Schinnerer bemerkte: es habe ihn seit damals "eine Depression gepackt, die mich mit Vorstellungen belastet von Aussichtslosigkeit jeder ernsthaften künstlerischen Bemühung." (Jan Oeltjen an Adolf Schinnerer, Brief vom 23.7.1938. GNM II, C-16)
Schien es im Juli 1937 noch ziemlich sicher, dass Oeltjen den Auftrag bekomme (Tagebuch vom 16.7.1937), wurde nach den Ereignissen vom August am 10. September abermals ein neuer Entwurf gefordert (Jan Oeltjen an Adolf Schinnerer, Brief vom20.9.1937. GNM II, C-16). Mit diesem Kniefall vor den Machthabern in der Kunstpolitik und der gleichzeitigen Preisgabe der verwaltungstechnischen wie künstlerischen Autonomie konnte der Auftrag dann vom Oldenburgischen Staatsministerium an Oeltjen erteilt werden. Es blieb die Bedingung noch schriftlich zu fixieren, dass Oeltjen sämtliche Einzelstudien und Originalzeichnungen vor der Ausführung [Wohlschläger] zur Beurteilung vorlegen muß (Jürgen Weichardt: Jan Oeltjen und der Nationalsozialismus. In: Jan Oeltjen 1880-1963, Ein Maler zwischen Jaderberg und Ptuj. Ausstellungskatalog aus Anlaß des 150jährigen Bestehens des Oldenburger Kunstereins[!]. Oldenburg, 1993. S. 201f.)
Der folgende Entwurf konnte als endgültig angesehen werden:
Die Komposition im oberen Bildteil ändert sich kaum. Unruhige Formen werden reduziert, die Schiffahrt im rechten Bildteil wird deutlicher akzentuiert (eine Vogelgruppe tritt hinzu), aber in der unteren Bildhälfte vollzieht sich eine dramatische Wende. Links und rechts der Türen, wo bislang die nationalsozialistischen Machtsymbole erscheinen sollten, hatte Oeltjen nunmehr die Einbindung der deutschen Jugend in den Nationalsozialismus aufzuzeigen. Links wurden zwei Gruppen Jugendlicher bei Kultivierungsarbeiten im Reichsarbeitsdienst in die Komposition hineingequetscht, rechts zwängte Oeltjen in gleicher Manier zwei Darstellungen der Hitlerjugend in die freigewordenen Flächen.
Im Winter fiel die Entscheidung zugunsten von Oeltjens Entwurf aus - ob es überhaupt Alternativen gegeben hat, mag getrost bezweifelt werden. Bekannt ist keine einzige Arbeit von Kollegen oder Konkurrenten.
Vom Frühjahr bis in den Sommer 1938 hinein erstreckte sich die Arbeit an den Modellen und Vorlagen. Im Juli 1938 kam es zu einem Atelierbesuch durch einen Journalisten der Oldenburgischen Staatszeitung, der in unaufgeregtem Duktus ganz offensichtlich Oeltjens Darlegungen wiedergibt. Interessant ist eine Darlegung der Freskomalerei seit der italienischen Renaissance. Hier fallen Namen, die offenkundig von Oeltjen vorgegeben wurden und die Liste endet mit im 19. Jahrhundert mit Hans von Marées und später noch Ferdinand Hodler. Dazu aber später noch mehr.
Oeltjens Äußerungen gegenüber seinem Schweizer Briefpartner ergehen sich vornehmlich in Allgemeinplätzen, worauf Wenner unerwartet deutlich reagiert: "Es tut mir schon sehr Leid, dass Du nicht zu uns kommen kannst. […] Dass Du dann mit den 3000.- M. fertig bist würde zwar nichts ändern, denn mehr als 10 M. dürftest Du ja doch nicht rausnehmen. [Anm.: Devisenvorschriften, wonach ohne vorherige Bewilligung nur der lächerlich geringe Betrag von 10 Mark ausgeführt werden durfte. ] Warum müsstest Du dieses Jahr aber so wie so auf ein Kommen verzichten? Ich hätte gern was über Deine Arbeit gehört, aber es bist Du da von unglaublicher Verschlossenheit." (Albert Wenner an Jan Oeltjen, Brief vom 8.8.1938. GNM I, C-218.)
Mit dem Voranschreiten der Arbeit fallen dann Äußerungen Oeltjens in seinen Briefen an Schinnerer auf, die angesichts der Vorgeschichte wie ein Hohn klingen: "Es ist eine wunderbare Fügung, dass ich einmal solch eine handfeste Arbeit ausführen darf – und darüber hinaus noch ohne dass irgend jemand hineinredet" (Jan Oeltjen an Adolf Schinnerer, Brief vom 21.9.1938. GNM II, C-16) oder einen Monat später kurz vor dem Ende: "Vielleicht spüren meine Auftraggeber, dass Sie für das Geld, das Sie mir geben, nicht viel verlangen dürfen – jedenfalls reden sie mir ganz u. gar nicht drein u. ich bin ihnen dankbar dafür – überhaupt für die Möglichkeit, die sie mir gaben, solch eine Aufgabe einmal zu bewältigen." Hier geraten auch die erzwungenen kompositorischen Veränderungen allenfalls zu "zeitlich bedingten Angelegenheiten" (Jan Oeltjen an Adolf Schinnerer, Brief vom 10.10.1938. GNM II, C-16).
Das ist offenkundig entweder Selbstverleugnung oder camouflierte Schreibweise. Wenner setzt Oeltjen entsprechend zu und fragt nach, als lese er das erste Mal von der Arbeit, die seinen Freund seit nunmehr über zwei Jahren beschäftigt hatte: "Vergiss auch nicht zu schreiben, wie das Thema lautete; oder hast Du absolut machen können, was Du wolltest? […] Darum dass Du schreiben konntest, Du seist Monate lang im Himmel gewesen, beneide ich Dich tüchtig. Jammervoll ist natürlich, dass finanziell nichts herausschaut.“ (Albert Wenner an Jan Oeltjen, Brief vom 17.12.1938. GNM I, C - 218)
Selbst der ruhige und besonnene Schinnerer streute Oeltjen nach Abschluss der Arbeit noch einmal kräftig Salz in die Wunden: "Die Felder rechts u. links find ich in d. Proportionen gut geglückt." Damit sind Arbeitsdienst und Hitlerjugend gemeint und verklausuliert, aber leicht durchschaubar fährt Schinnerer fort: "Die Proportion – das wird immer schwieriger u. unheimlicher für mich.“ (Adolf Schinnerer an Jan Oeltjen, Brief vom 8.1.1939. GNM II, C-16)
Der Schluss-Akkord der Korrespondenz zum Fresko mag hier Albert Wenner gebühren, der seiner Verzweiflung über die Veränderungen in Deutschland (aber auch an seinem Freund) freien Lauf lässt, als er Oeltjen wieder im zensurfreien Jugoslawien weiß:
„Wie habe ich Dich beneidet, als Du schriebst, dass Du während des Malens am Fresko monatelang im Himmel warst. So was kann ich besten Falls mal eine Stunde haben. Bessere Nerven hast Du schon; aber trotzdem liegt scheint's der Alp der Zeit auch auf Dir. Die letzte Zeit war dreckig schreibst Du. Das ist wohl im Wesentlichen finanziell gemeint? [...] In was für einer Zeit leben wir! Das Gegenteil von Allem, was man sich gewünscht hat für die alten Tage. Du musst mir schon von S. Vid aus mal schrieben über die Eindrücke u. die Auffassung über Deutschland. Von dort aus kann man sich doch frei äussern?
Es ist doch grauenhaft, dass dieses Regime in D. nicht weggefegt wird. Alles was man im Anfang vom N. S. erhoffen konnte, ist doch ins Negative umgedreht. Nicht nur Ammoralität, nein sogar bewusste Bevorzugung des Gegenteils, Lüge, Brutalität, Grausamkeit bei den Führenden u. der Wille dieses dem ganzen Volk einzuimpfen. Und ein massloser Machtwille aus versuchter Selbstüberheblichkeit geboren. Du wirst dies übertrieben finden, aber Ihr in Deutschland wisst ja nichts. Ihr glaubt nur den verlogenen Reden H.[itler]s. Es ist 100mal beweisen, dass die Greuelmärchen wahr sind u. von oben geduldet wenn nicht gewünscht. […] Das deutsche Volk muss schon sehr verwandelt u. heruntergekommen sein, dass es nicht die Kraft gefunden hat, diese Bewegung zu zerschlagen.
Wir sind jeden Tag gewärtig, dass der Krieg losgeht, wenn nicht gegen uns, so gegen einen anderen. Und wenn es losgeht, so werden wohl alle hineingezogen werden u. es wird unausdenklich grauenvoll sein – aber dieses Deutschland wird wenigstens so hoffen wir inbrünstig total caput gemacht werden.“
(Albert Wenner an Jan Oeltjen, Brief vom 3.5.1939. GNM I, C - 218)
Damit ist die Entstehungsgeschichte des Freskos im alten Landtag in Oldenburg eigentlich erzählt. Jeder Betrachterin und jedem Betrachter steht nun die Möglichkeit offen, sich anhand der Entstehungsgeschichte eine eigene Meinung von dem Fresko und der Person seines Schöpfers zu machen.
Ob das Bild wirklich geeignet ist, als Hintergrundstaffage für allerlei heutige Veranstaltungen zu dienen, mag getrost bezweifelt werden. Es gänzlich der Öffentlichkeit zu entziehen, scheint aber auch nicht angemessen zu sein angesichts einer erkennbar interessierten Gruppe, gleich wie groß diese sei. So wären denn sporadische Möglichkeiten der Besichtigung mit erläuternden Kommentaren vielleicht die Lösung.
Ein Kommentar steht hier noch aus. Oben wurde darauf verwiesen, dass noch einmal die Namen Marées und Hodler aufgegriffen würden. Und damit bewegen wir uns nicht mehr in die Entstehungs- sondern in die Vorgeschichte des Freskos, deren Aufhellung endgültig dazu beitragen soll, die Idee eines nationalsozialistischen Kunstwerks zu widerlegen.
1903 erscheint im Cassirer Verlag in Berlin eine Ausgabe des Tagebuch von Eugène Delacroix. Der bibliophile Oeltjen kannte es und hat es verschlungen. Später geriet ihm das Tagebuch sogar zum Muster für seine eigene Auflistung der Alttagsereignisse und des Weltgeschehens. Sein erstes Tagebuch erscheint ebenfalls 1903. An herausragender Stelle darin werden Person und Werk von Pierre Puvis de Chavannes erwähnt und aufgelistet. Puvis de Chavannes, der nebenbei ganz kurz Schüler von Delacroix war, wurde vor wenigen Jahren in einer monumentalen Ausstellung als eine der einflussreichsten Gestalten in der Geschichte der künstlerischen Moderne wieder entdeckt. Entdeckt hatte ihn schon seinerzeit Oeltjen: Puvis de Chavannes' Fresko "Ave Picardia Nutrix" für das Museum von Amiens 1864 ist nichts weniger als die Folie, die Oeltjen genutzt hat, um 70 Jahre nach dem französischen Symbolisten im alten Oldenburger Landtag das Fresko zu gestalten. Es handelte sich wohlgemerkt nicht um eine plumpe Übernahme mangels eigener Gestaltungskonzeptionen. Oeltjen stellte sich vielmehr in einen Metazusammenhang mit dem Franzosen, in dem Grenzen und Nationalitäten vor dem Hintergrund eines mystischen Goldenen Zeitalters verwischen. Beide zweifelten an der Gegenwart und sahen in ihr nicht die Lösung der Menschheitsprobleme.
Aus dieser Abbildung kann die Notwendigkeit hervorgehen, Oeltjens Fresko einmal im Original auf seine Farbigkeit zu untersuchen: Der Vergleich beider Bilder nach Struktur, Komposition etc. kann auch anhand von alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen gelingen; ob es eine Parallele in der Farbigkeit gibt, ist offen.
Für einen Vergleich wurde das Fresko in Amiens einmal seines Mittelstücks mit Portal beraubt und neu zusammengesetzt, hier anhand von alten Postkarten aus dem Kunsthandel:
In beiden Fällen finden wir eine gegenwartsabweichende Darstellung des Landes bzw. seiner Stände:
links Nahrung/Getränk (Apfelwein - Milch), flankiert von Baumgruppen; links Rindvieh/Kühe (oben schwer zu erkennen ein Ochsenfuhrwerk);
Mitte Hintergrund Feldarbeit/Feldfrüchte sowie Viehhaltung (Ziegen-Pferde); Mitte Mittelgrund bzw. Vordergrund weibliche Personifikation des Landes bzw. der Fruchtbarkeit (Mutter/Kind-Gruppe);
rechts Hintergrund Fischerei/Boote/Transport von Handelsgütern, flankiert von Baumgruppen, trotzdem Ausblick in weite Ferne;
Umrahmung: Identische Form der Portale bzw. Türen.
Die Identität einzelner Bildelemente geht so weit, dass die Balken bzw. Pfosten des Reichsarbeitsdienstes die selben Formen und Winkel aufweisen wie die Holzpfosten in der Bootsgruppe bei Puvis de Chavannes.
Drei Schlüsselnamen in Oeltjens Liste zu Puvis de Chavannes fallen sofort ins Auge: Delacroix, Marées und Hodler. Delacroix war mit seinem eher einer neuen Kunstform denn einem Tagebuch ähnelnden Langzeitprojekt auffälliger Pate für Oeltjens Selbststilisierung in den eigenen Niederschriften und hatte mit seinem Tagebuch offenbar Oeltjen angeregt, gleiches zu versuchen.
Feridnand Hodler wurde nach 1905 Lehrer von Wenner und der ließ seinen Freund an seinem Leben schriftlich teilhaben. Hodlers berühmtes Fresko für die Universität Jena wurde mit launigen Worten von Wenner angepriesen:
„Gegenwärtig strahlt Zürich im Glanze einer führenden Kunststadt. Wir haben nämlich eine Kunstpremière par excellence, nämlich das Hodler`sche Bild für Jena. Tag für Tag ist der Saal überlaufen, die obern 10000 von Zürich, die Blüte der Z. Künstlerschaft, die Aristokratie des Geistes und die ehrwürdige Zunft der Z. Maecene gaben sich in den ersten Tagen alle Morgen dort Rendez-vous u. tun es vielleicht heute noch. In der Zeitung erscheinen mahnende Leitartikel an das grosse Publikum dem Werke mit der nötigen Ehrfurcht gegenüberzutreten, die Zürcher Kritiker haben eine rote Nasen[!] (man weiss nicht kommen sie vom vermehrten Kannegiessen oder davon, dass sie den mit noch nassen Bildern in Berührung gekommenen Zeigefinger zu oft an die Nase führen) u. die Maler brechen täglich verschiedene Male ihren Eid, nicht mehr über ihre Kunst zu disputieren, ertränken ihren Moralischen oder geben Laien liebevolle Anleitung zum Verständnis dieses Werkes. Und der Wirt des Cafés Metropol verzeichnet gewiss eine bedeutende Mehreinnahme.
Wenn jetzt deine Neugierde sich nicht bis zu krankhafter Nervosität gesteigert hat, so - bleibt dir nichts übrig, als dich in deinen Lehnstuhl zu setzen und dieses Gewäsch auszulesen.
Also das Bild ist einfach grossartig. Es [hat] zwar einen Kapita[l]fehler, nämlich man
sieht es nicht als eines u. man sieht die untere Hälfte als Hauptsache, währenddem Hodler die obere als Hauptsache wollte. Das klingt sehr komisch u. ist es auch; das komischste hingegen ist, dass auf der Photographie das obere die Hauptsache ist. Holder hat mir (er hat das selber sehr wohl gesehen u. war auch sehr niedergeschlagen) gesagt, auf eine Entfernung von 8-10 mal die Bildhöhe werde man es auch beim Bilde so sehen. Zu Würtemberger hat er sich geäussert, das Bild sei mit einem Fehler geboren.
Trotzdem ist das Bild eine kolossale Leistung u. die 4 Vorderfiguren sind von grossartiger Plastizität u. Ausdrucksfähigkeit u. Schönheit.
Das Bild geht nachher zu der Berliner Secession. Vielleicht wird es dann in Kunst u. Künstler abgebildet." (Albert Wenner an Jan Oeltjen, Brief 1909. GNM: I, C - 218; die Abbildung kam in Kunst und Künstler 7(1908/09), S. 380:)
Oeltjen korrigierte stillschweigend den Fehler, von dem ihm Wenner seinerzeit erzählt hatte und tauschte die Bildelemente in ihrer Platzierung aus: Die marschierenden Soldaten sind nun bei Oeltjen unten und die großen Pferde mit den Männergestalten werden oben platziert.
Die Kenntnis des Freskos "Auszug deutscher Studenten in den Freiheitskrieg von 1813" Akann bei Oeltjen als garantiert angesehen werden (Belege im Tagebuch).
Aberwitzig mutet die weitere Geschichte von Hodlers Fresko wegen einer weiteren Parallele zu Oeljens Bild an an: Seinerzeit umjubelt und gefeiert, wurde es nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges schnell Gegenstand eines Eklats. Hodler hatte gegen die Zerstörung der Katedrale von Reims durch deutsche Truppen mit seiner Unterschrift unter einem Offenen Brief protestiert. Sein Vorgehen und sein Bild wurden daraufhin als undeutsch betrachtet und das Fresko wurde hinter einer Bretterschalung vor der Öffentlichkeit verborgen.
Bleibt noch die Frage, wo Oeltjen sein großes Vorbild Marées aufgegriffen hätte. Neben der unmodern anmutenden Darstellungsweise der in sich ruhenden kräftigen Gestalten gibt es einen indirekten (Hodlers marschierende Soldaten gehen bereits auf die Ruderer von Marées in der Zoologischen Station von Neapel zurück) und einen direkten Hinweis: In Neapel befindet sich auf einem Fresko ein Vogel (Seeschwalbe/Möwe). Dessen Gestalt erscheint zuguterletzt, nach der letzten Änderung, auch bei Oeltjen.